Es sind doch nur Haare! Oder? #5
14. August 2019
Brustkrebstagebuch Notiz 5
Haarlos wie ein neugeborenes Baby oder glatzköpfig wie ein alter Mann.
Diese Bilder hüpften in meinem Kopf herum, seit ich wußte, dass ich eine Chemotherapie brauchen würde. Und diese Vorstellung behagte mir ganz und gar nicht.
Meine Haare. Ich hatte zwar keine Pferdehaare wie mein Sohn und und auch keinen dicken Schopf wie meine Tochter. Nein sie sind eher fein und hellbraun. Dafür aber habe ich keine grauen Haare.
Eine Zeitlang bin ich mal blond rumgelaufen. Sah cool aus. Doch dann bekamen immer mehr meiner Freundinnen erste garue Haare. Da wollte ich wieder meine eigenen Haarfarbe haben, bevor ich selbst ergraue. Das ist jetzt über 10 Jahre her, doch die grauen Haare lassen immer noch auf sich warten.
Ich las, dass die Haare nach der Chemo weiß nachwachsen. Nicht bei allen kommt die Farbe wieder.
Menno! Nun sollten auf diese Weise meine Haare ergrauen. Schlagartig würde ich steinalt aussehen, zumindest in meiner Vorstellung und das behagte mir gar nicht.
Nicht der Krebs, sondern die Chemo lässt die Haare ausfallen. Die Medikamente richten sich gegen alle schnellteilenden Zellen wie eben die Krebszellen. Aber eben auch andere schnellteilenden Zellen wie Haarzellen, Scheimhautzellen oder weiße und rote Blutkörperchen.
Wegen diesem Wirkmechanismus kommt es zu den bekannten Nebenwirkungen der Chemotherapie.
Und natürlich war es mir am wichtigsten, dass ich diesen hochaggresiven Tumorüberlebe, ob mit oder ohne Haare. Doch die Vorstellung, nicht nur die Haare, sondern auch meine Farbe zu verlieren, ließ mich trauern. Gerade dadurch wurde mir bewußt, was für ein Einschnitt die Krebserkrankung für mein Leben bedeuten würde. Der drohende Haarverlust ließ es so real werden.
Ohne Haare war ich auch für andere Menschen als Krebserkrankte erkennbar, ob ich wollte oder nicht.
Ich fühlte mich bei dem Gedanken ganz schutzlos. Haare, die sind auch ein Schutz.
Eine recht neue Entwicklung, um den Haarausfall unter der Chemo zu vermindern, waren Kühlkappen. Damit wurde die Kopfhaut auf unter 7 Grad während der Chemo gekühlt und die Zellaktivität sollte so minimiert werden. Bei manchen Frauen funktionierte das gut, bei anderen überhaupt nicht. nd ich musste die Nutzung der Kühlkappe selbst bezahlen. Einen Versuch ist es wert, dachte ich und sagte bei dem Vorgespräch zur Chemo, dass ich gerne die Kühlkappe nutzen möchte.
Vom Brustzenrum hatte ich ein Rezept für eine Perücke bekommen. Meine Krankenkasse würde einen großen Teil der Kosten für die Perücke übernehmen.
Im Netz suchte ich nach einem Perückenladen in unserer Nähe. Eine Webseite weckte mein Vertrauen und ich wollte dem Perückenstudio einen Besuch abstatten. Nur nicht alleine.
Ich bat meine große Tochter Juschi, die noch bei uns in Berlin zu Besuch war, mit mir dort hizugehen und mich zu beraten.
Wir trafen uns ein paar Tage später vor dem Einkaufszentrum, in dem sich der Perückenladen im ersten Stock befand.
Eine Fra mittleren Alters lächelte uns an, als wir den Laden betraten. Ich schilderte mein Anliegen: “Ich starte demnächst mit einer Chemotherapie und habe deswegen ein Rezept für eine Perücke bekommmen, die ich schon vorher besorgen wollte.”
“Ja, da sind sie hier richtig”, sie nickte, “Sie können dort Platz nehmen,” sie zeigte auf einen Stuhl vor einem großen Spiegel, ” und dann komme ich gleich zu Ihnen.”
Ich setzte mich und wartete, bis die Dame noch die Kundin vor mir verabschiedete. Dann kam sie zu uns und fragte: “Möchten sie eine Perücke, die möglichst nah an ihrer jetzigen Frisur ist oder mal was ganz anderes?”
“Ich habe noch 2 kleine Kinder. Denen will ich gerade nicht noch weitere große Änderungen zumuten. Also lieber eine, die meinen Haaren jetzt ähnelt”, erklärte ich.
“Gut. Dann suche ich mal etwas heraus. Da kann die fabe mal eine andere sein. Es geht jetzt erst mal um die Haarstruktur und Frisur. Die richtige abe können wir dann noch bestellen, wenn ihnen eine davon zusagt.”
Sie suchte eine Weile in den Regalen, zog verschiedene Kartons hervor und kam mit einen Stapel voller Kartons auf dem Arm zu uns.
Als erstes setzte sie mir eine braune Perücke mit einem schicken Bob auf.
Ich sah damit total schick und französisch aus.
“Wow, die steht dir echt gut”, meinte auch Juschi. Ich nickte und betrachtete mich von allen Seiten. Sehr schick. Bin ich so schick?
Die nächste Perücke war blond, mit einem Stufenschnitt. Sie erinnerte mich an meine blonde Zeit. Eine komplett andere Dagmar erschien im Spiegel.
“Auch schön”,, meinte Julika.
“Hm”, murmelte ich.
“Es gibt ja jetzt die Kühlkappen, die den Haarverlust verhindern sollen. Das werde ich probieren,” informierte ich die Dame.
Sie wiegte zweifelnd ihren Kopf.
“Keine guten Erfahrungen?” fragte ich.
“Das funktioniert selten”, erklärte sie.
Naja, wär ja auch unvorteilhaft für ihr Geschäft, wenn es funtionieren sollte, dachte ich bei mir.
Die nächste Perrücke war ein längerer Stufenschnitt, aber mit grauen Haaren. Das gefiel mir gar nicht.
“Die Haare sollen ja grau nachwachsen, habe ich gelesen. Bleiben die dann grau? Wie sind ihre Erfahrungen?” fragte ich die Perückenverkäuferin.
“Ja, meistens bleiben die Haare dann grau”, antwortete sie mit einem mitfühlenden Blick.
Das wollte ich eigentlich nicht hören. Mir stiegen die Tränen in die Augen.
“Ach, Mama,” meinte Juschi und streichelte meine Schulter, “hauptsache, du wirst wieder gesund.”
“Ja, die Gesundheit ist ja das Wichtigst,,” fand auch die freundliche Dame.
Ja, klar. Lieber grau als tot. Trotzdem werde ich ja wohl noch mal um meine Haare und meine Farbe im Vorfeld trauern dürfen.
Die Verkäuferin ließ uns noch ein paar Perücken ausprobieren. Nach einer Endauswahl entschied ich mich dann für eine hellbraune Perücke mit schulterlangen Stufenschnitt. Sie gefiel uns allen gut an mir.
“Wenn es dann soweit ist, dass die Haare ausfallen, dann kommen Sie wieder her und ich kann ihnen die restlichen Haare ganz kurz rasieren. Die Perrücke können wir dann auch noch mal nachschneiden und frisieren. Ich wünsche Ihnen alles Gute,” verabschiedete uns die Dame an der Kasse.
Mit einem Tüte, in der sich der Karton mit der Perücke und außerdem noch zwei schöne Kopftücher befanden, verließen wir den Laden.
So, zumindest müsste ich jetzt nicht glatzköpfig herumlaufen, wenn ich es nicht will.
Als ich abends nach Hause kam, wollte ich meinen beiden jüngeren Kindern die Perücke präsentieren.
“Ich zeige auch jetzt mal, wie ich mit Perücke aussehe”, kündigte ich am Abendbrottisch an und verschwand für ein paar Minuten. Als ich mit der Perücke auf den Kopf wieder auftauchte, schrieen beide Kinder entsetzt auf.
“So holst du mich nie ab”, verlangte Taran.
“Du siehst so blöd aus mit der Perücke. Die solls du nie zum Abholen anziehen”, weinte Miri.
Ich schluckte schwer und die Tränen stiegen mir wieder auf. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Schnell verschwand ich wieder und kam ohne Perücke wieder zurück.
Wir brauchten alle noch etwas Zeit um uns an die neue Situation zu gewöhnen. Das war alles nicht einfach, auch nicht für meine Kinder.
Und dann kam ja doch alles ganz anders als gedacht….
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Die Diagnose #3
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