
Die letzte Chemo
19. November 2019
Gestern war die letzte Chemo.
Schon bei der vorletzten Chemo freute ich mich sehr, wie weit ich es geschafft hatte.
Ich betrat den Chemoraum, der mir so vertraut geworden ist, gut gelaunt um kurz nach sieben am Morgen.. Meine Sitznachbarin Tina begrüßte mich gleich lächelnd mit den Worten: “Heute ist die lezte Chemo für dich, ja?”
Ich nickte.
“Gratuliere.”
Und so ging es weiter. All die Frauen, die mit mir in den letzten Monaten diesen raum geteit hatten, gratulierten mir und freuten sich mit mir. Als sie sahen, dass mein Infusionsständer keine Krone trug, riefen sie aufgeregt: “Da fehlt je noch die Krone!”
Sofort sagte eine der Frauen einer Schwester Bescheid. Kurz darauf wurde mein Infusionsständer mit einer aufblasbaren Krone geschmückt. Alle klatschten.
Die Mutter von Isa, die ihre Tochter fast bei jedem Zyklus begleitete, kam zu mir und gab mir ein mit einer weißen Serviette umwickelten Päckchen. “Für dich, weil heute deine letzte Chemo ist.”
Ich wickelte es aus und fand einen filigranen Teelöffel mit Schmuckstein und Verzierungen.
Ich umarmte die Mutter und rief: “Oh, wie wunderschön. Vielen Dank. Jetzt trinke ich gerade soviel Tee. Da werde ich immer an euch beide denken.”
Mir kamen Tränen in die Augen über all die Mitfreude, die die Frauen hier zeigten. Es berührte mich so sehr. Die Chemo werde ich nicht vermissen. Ich bin froh, dass ich die erste Etappe von meiner Krebsreise so gut geschafft hatte. Doch was ich vermissen werde ist der unterstützende Kreis von Frauen, der sich hier gebildet hatte. Die Wärme, mit der wir uns umgaben. Das Lachen, dass diesen Raum so oft erfüllte, dass die Schwestern oft mitlachten und sagten: “Hier ist ja richtige Partystimmung.”
Wir sind uns sehr nahe gekommen in den letzten Monaten. Es gab nicht zu verbergen, nichts zu vertuschen. Wir konnten uns mit all unseren Ängsten, Hoffnungen, Freuden und Wünschen zeigen. Das war einfach so schön und hatte eine Qualität, die ich selten woanders getroffen habe in dieser Einmütigkeit.
Dabei waren die Frauen in dem Raum sehr unterschiedlich. Doch wir akzeptierten uns alle vom ersten Augenblick an.
Ich liebe sie alle.
Und ich sammelte alle Telefonnummern ein und wir beschlossen, dass unsere Reise gemeinsam weitergehen würde. Wir hatten uns nicht zum letzten Mal gesehen.
Doch auch den Schwestern gegenüber bin ich sehr dankbar, denn sie haben durch ihre Fürsorglichkeit viel zu der guten Atmosphäre beigetragen. Ich bekam eine Wärmflasche, wenn ich fror, einen warmen Tee und auch mal eine Heizdecke, als meine Lippen blauer waren als das nachtblau am Abendhimmel.
Und so unterschiedlich sie waren, jede auf ihre Weise trug zu der guten Stimmung bei. Die zackige Schwester, bei der alle Frauen um neun Uhr bereits angeschlossen waren und sich der Tag so nicht endlos zog.
Die korpulente Schwester, die gerne redete und von der wir bei jeder Frage mehr erfuhren all von allen anderen.
Die zarte Schwester, die ganz besonders darauf achtete, dass die Nadeln sanft gelegt wurde und die immer schaute, ob wir noch etwas brauchten.
Die junge Schwester mit ihren zuckersüßen Grübchen auf der Wange, deren Lachen so ansteckend war, dass ich nicht anders konnte als mitzulachen.
Auch sie liebe ich und danke ihnen.
Sie hatten verstanden, dass für die Heilung mehr notwendig ist als nur die Behandlung des Körpers.
Und ich empfinde auch große Dankbarkeit mir selbst gegenüber, dass ich so gut durch die Chemo gekommen bin. Ich hatte mich für die Chemo entschieden. Zugleich wollte ich begleiten einiges tun, damit ich gut dadurch komme. Und es hat funktioniert. Es kann Zufall sein, doch ich bin viel eher überzeugt, dass all das, was ich begleitend gemacht habe, zu meinem Wohlergehen beigetragen hat.
Denn das ist mein persönlicher Weg gewesen. Es bedeutet nicht, dass dasselbe bei jeder anderen genauso helfen würde. Denn letztendlich geht es darum, zu spüren, was tut mir jetzt gut? Und dann dem nachzugehen. Das ist bei jeder Frau anders, so wie jeder Brustkrebs anders ist.
Meine Reise geht weiter.